Selbstfürsorge ist Pflicht

 
 

Ein Interview mit West Fortysecond Gründerin Fabienne Flügge // 1.MaI 2022

Was ist West Fortysecond?

West Fortysecond ist für mich Online Boutique und Lebensphilosophie. Es ist eine Plattform, auf der wir Marken und Inhalte rund um die Themen Wellness und Selbstfürsorge zusammenbringen, mit dem Ziel, unseren Kund:innen ein neues Gefühl für Konsum zu vermitteln.

Bei West Fortysecond geht es nicht einfach darum einzukaufen, sondern um die Suche nach Schönheit, Wertschätzung und Bewusstsein. Uns liegt es sehr am Herzen, dass sich unsere Kund:innen Gedanken um das Thema Achtsamkeit machen und lernen, welchen Wert ganz alltägliche Handlungen für sie und für die Welt um sie herum haben können. Wir möchten zeigen, dass bewusstes Handeln nicht anstrengend sein muss, sondern sogar richtig Spaß machen kann.

Wie ist die Idee zu West Fortysecond entstanden?

Ich habe in verschiedenen Angestelltenverhältnissen gearbeitet, hatte aber irgendwie immer den Wunsch, meine Energie für mein eigenes Unternehmen einzusetzen. Natürlich habe ich in diesen Jahren viel lernen dürfen, was meinem eigenen Business heute zugute kommt. Aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr darauf fremdbestimmt zu werden und wollte mein Leben und Arbeiten selbst in die Hand nehmen. Während meiner sehr schönen aber auch ziemlich stressigen Zeit in New York habe ich mich dann intensiv mit den Themen Nachhaltigkeit und Achtsamkeit auseinandergesetzt. Aus diesem Prozess ist die Idee zu West Fortysecond entstanden. 

Ist West Fortysecond die deutsche Antwort auf Goop?

Ich bin ein großer Fan von Gwyneth Paltrow und ich glaube, dass sie mit Goop ein sehr gutes Gespür für das Bedürfnis der Menschen nach Alternativen zu veralteten Konsummodellen bewiesen hat. Sie spricht auf der Plattform nicht nur über Tabu-Themen, sondern bindet ihre Kund:innen auch aktiv in die Prozesse und Themen des Unternehmens ein, wie beispielsweise ihre Netflix-Reihe zeigt. Dieser Mut, einfach loszugehen, kombiniert mit dem Wunsch, andere Menschen mit den eigenen Ideen zu inspirieren, fehlt mir in Deutschland oft.

Goop mischt Spiritualität, Individualität und Coolness auf eine besondere, irgendwie kalifornische Art und hat dadurch eine ganz eigene Ästhetik entwickelt. Elegant, modern, ein bisschen sexy - die Idee, nicht gleich ins Retreat fahren zu müssen, sondern das richtige Lebensgefühl im Alltag zu erschaffen, ist glaube ich der Kern des Ganzen und genau das, was wir auch mit West Fortysecond anstreben. Darüber hinaus möchten wir aber einen Schritt weiter gehen. Goop fixiert sich sehr auf das Individuum und sein persönliches Wohlergehen. Das ist super wichtig, aber sobald es mir selbst gut geht, kann ich auch anderen etwas Gutes tun und meinen Blick auf Freunde, Bekannte oder auch die Gesellschaft richten - auch das möchten wir bei West Fortysecond unseren Kund:innen vermitteln.

Was unterscheidet West Fortysecond noch von Goop?

Goop ist durch die enge Verbindung mit der immer perfekten Gwyneth Paltrow in meinen Augen nicht wirklich nahbar. Ich erinnere mich daran, dass sie einmal sagte: "Für mich läuft alles auf Selbstoptimierung hinaus. Wir leben nur einmal. Wie können wir da wirklich das Beste rausholen?" Dieser Aussage kann ich mich nicht anschließen.

Wenn wir West Fortysecond mit Goop vergleichen wollen würden, dann wohl eher mit seinen Anfängen als moderner Lifestyle-Ratgeber. Heute ist Goop sehr kommerziell ausgerichtet und in meinen Augen nicht mehr so spannend wie früher. Klar kann sich ein Unternehmen nur halten, wenn auch gekauft wird, aber wir möchten mit West Fortysecond lieber inspirieren und Bewusstsein schaffen anstatt blinden Konsum anzuregen. Wir möchten eine positive Vorbildfunktion einnehmen und lebensnahe Ratschläge an unsere Kund:innen weitergeben.

 

Was sind die besten Quellen für diese Ratschläge?

Wir sind in sehr engem Austausch mit unseren Brands und bekommen dadurch immer die tollsten Tipps für ihre ideale Nutzung und spannende Rituale, die mit den Produkten verbunden werden können. Genau diese Insider-Tipps zeigen wir auf unseren Produktseiten und im West Fortysecond Journal. Hier schreiben wir über unsere Brands und ihre Gründer:innen und tauchen ein in Themen rund um Achtsamkeit und bewussten Lifestyle. Es geht u. a. um nachhaltiges Einkaufen, nachhaltige Entscheidungsfindung und bewussten Konsum. Wir investieren viel Zeit in dieses Magazin, weil wir uns einem Thema möglichst ausführlich widmen und Ratschläge geben möchten, die wirklich im Alltag umgesetzt werden können.

Was ist Euch wichtig, wenn Ihr Produkte für West Fortysecond auswählt?

Wir möchten, dass Gesichter hinter den Produkten stehen, also authentische Gründer:innen mit tollen Geschichten. Darüber hinaus suchen wir die Produkte und Marken nach unserem Conscious Code aus, der die Kriterien Vegan, Female Founded, Eco Friendly, in Europa oder bestenfalls Deutschland produziert und handmade hat. Natürlich muss nicht jedes Produkt alle Kriterien erfüllen, aber mindestens drei sollten es schon sein. Eco Friendly sind beispielsweise alle Produkte auf unserer Plattform.

Ist Achtsamkeit mehr als nur ein Trend?

Klar ist Achtsamkeit ein Trend, aber Trends sind immer aus bestimmten Gründen in der Welt. Wenn es, wie in diesem Fall, nicht um Mode oder Kosmetik geht, sondern um Lebensstile, ist es wahrscheinlich gerade wichtig, dass viele Menschen dieses Thema für sich entdecken. Ich würde aber sagen, dass Achtsamkeit den "Trendstatus" mittlerweile verlassen hat und für viele zur Lebenseinstellung geworden ist.

Was hat Achtsamkeit mit West Fortysecond zu tun?

Wir setzen uns bei West Fortysecond ganz bewusst mit dem Thema Konsum auseinander und nehmen uns viel Zeit, um die Marken, Gründer:innen und die Produkte, mit denen wir arbeiten, kennenzulernen. Allein das ist in meinen Augen bereits eine sehr achtsame Herangehensweise - in diesem Fall an das Thema Arbeit und Verantwortung.

Alle Produkte sind außerdem mit kleinen Tipps und Statements von mir oder den Gründer:innen ergänzt. Diese Liebe zum Detail ist uns besonders wichtig, weil wir eine ganze Welt an Möglichkeiten zeigen und dann auf die Relevanz der bewussten Auswahl hinweisen möchten. Kaufe ich einfach irgendeine Kerze oder kaufe ich eine Kerze, hinter der eine Gründerin steht, die verantwortungsvoll und schadstofffrei produzieren lässt, mit europäischen Herstellern arbeitet und mit ihrem Business auch noch soziale Projekte unterstützt - da besteht in unseren Augen ein großer Unterschied.

Wie stehst Du zu dem Thema Selbstoptimierung?

Selbstoptimierung ist für mich ein echter Balanceakt. An sich ist es erstmal gut zu reflektieren, ab und an einen Realitätscheck zu machen und zu überlegen, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Wichtig ist in meinen Augen aber immer, nicht Perfektion anzustreben, sondern Zufriedenheit. Alles andere kann sehr demotivierend und überwältigend sein und uns schnell wieder zurück in alte Muster werfen. Das Schöne ist doch, dass es nicht den einen Weg im Leben gibt und mich daran immer mal wieder zu erinnern finde ich ganz wunderbar.

Ich plädiere aber eigentlich lieber für Self-Empowerment als Self-Improvement. Mit West Fortysecond möchten wir das Wohlbefinden unserer Kund:innen stärken, sie dazu ermutigen, vermeintliche Fehler zu akzeptieren und ein besseres Gespür für die eigene Lebenswirklichkeit zu bekommen. Deswegen zeigen wir in unseren Bildwelten auch ganz bewusst verschiedene Körper, um die Idee eines Schönheitsideals in möglichst weite Ferne zu rücken.

Warum ist Selbstfürsorge so wichtig?

Selbstfürsorge ist Pflicht! Es ist doch so: Wenn ich mich wohl fühle, habe ich auch Lust, andere Menschen zum Strahlen zu bringen. Sorge ich dagegen nicht für mich und gehe unzufrieden durchs Leben, gebe ich auch das, z. B. über meine Stimmung, an andere weiter. Es hat für mich nichts mit Selbstgefälligkeit zu tun, wenn wir für uns sorgen, sondern mit Selbstermächtigung.

Was ist für Euch moderner Luxus?

Für uns bei West Fortysecond ist die Möglichkeit einen bewussten und zufriedenstellenden Alltag zu schaffen, absoluter Luxus. Dabei geht es uns u. a. um Wissen, Materialen und die Geschichten hinter unseren Produkten. Soll ein Duschgel nur gut riechen oder kann ich mit dem Kauf jemanden unterstützen, der die gleichen Werte lebt und vertritt wie ich?

In einer Welt, in der ich alles haben kann, ist moderner Luxus die Möglichkeit genau das auszuwählen, das für mich einen gesellschaftlichen und persönlichen Mehrwert bedeutet. Deswegen ist Minimalismus auch ein zentrales Thema bei uns. Neutrale Farben, Zurückgenommenheit, bewusster Konsum - wir brauchen als Menschen gar nicht viel, um zufrieden zu sein. Und wenn wir die Wahl haben, ist es doch schön, Dinge auszusuchen, die uns etwas bedeuten. 

Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für West Fortysecond?

Ich denke jedes Unternehmen, das in der heutigen Zeit gegründet wird und auch jede Marke sollte Nachhaltigkeit in ihrer DNA haben. Für uns ist es selbstverständlich, umweltbewusste Verpackungsmaterialien auszuwählen und mit möglichst regionalen Marken und Lieferanten zu arbeiten. Dabei gehen wir auch über das Thema Umwelt hinaus. Ich würde beispielsweise auch unsere Zusammenarbeit mit Freelancer:innen als nachhaltig bezeichnen, da wir grundsätzlich Menschen aussuchen, die unsere Werte teilen und langfristige Beziehungen zu ihnen aufbauen, anstatt einfach schnelle Leistungen abzurufen. Wir verfolgen mit West Fortysecond das Ziel, jede Entscheidung bewusst und im Sinne eines nachhaltigen Arbeitens zu treffen. 

 

Du hast eine Passion für Trends, wie lebst Du das bei West Fortysecond aus?

Trends zu verfolgen macht Spaß, aber mir geht es vor allem darum, eine angenehme Balance zwischen einem trendigen und einem nachhaltigen Leben zu finden. Wenn ich Trends nicht an mich herankommen lasse, schotte ich mich gegenüber der Wirklichkeit ab. Wenn ich offen für diese Bewegungen bin, kann ich neue Dinge erfahren und dabei gleichzeitig etwas über meine Mitmenschen und die Gesellschaft lernen.

Nachhaltige Entscheidungen kann ich trotzdem treffen, denn das bewusste Herangehen an einen Trend ist nachhaltig. Am Ende ist Nachhaltigkeit selbst ein Trend, den wir für uns entdeckt, für gut befunden und etabliert haben, sodass es irgendwann vom Trend in die Praxis übergegangen ist. Hier gibt es die Unterscheidung zwischen kurzzeitigen Trends und Megatrends, die dann über mehrere Generationen bleiben.

Nicht jeder Trend ist ein Hype. Er ist vielmehr ein Abbild der Gesellschaft und zeigt oft, was wir gerade brauchen. Auch der Health Trend ist schon sehr lange in unserer Gesellschaft präsent und hat viele gute Auswirkungen. Wir rauchen weniger, trinken weniger, versuchen uns mehr zu bewegen. Das ist nicht nur irgendein Trend, sondern etwas, das unsere täglichen Lebensentscheidungen beeinflusst und sich über diese Einflüsse bewusst zu sein, ist in meinen Augen sehr wertvoll.

Warum braucht die Welt mehr Kerzen, Seife und Edelsteine?

Erstmal brauchen wir nicht mehr, sondern weniger. Der Schlüssel ist in meinen Augen, ausgewählter zu konsumieren. Gerade in der aktuellen Zeit passiert so viel. Es gibt so viele spannende neue Marken und Gründer:innen mit ganz neuen unternehmerischen Glaubenssätzen, die nicht mehr nur als Ziel haben Geld zu verdienen, sondern auch Verantwortung zeigen und Gutes tun wollen. Wir arbeiten bei West Fortysecond nur mit kleinen Brands zusammen, deshalb sind unsere Produkte ganz natürlich limitiert. Unser Ziel ist, als Unternehmer:innen eine gesunde Balance zwischen Profit und Purpose zu finden.

Wie wird sich Euer Sortiment in der Zukunft entwickeln?

Erstmal möchten wir die Partnerschaften, die bereits bestehen, vertiefen. Unsere Gründer:innen haben wirklich tolle Ideen, bauen ihre Portfolios gerade auf oder erweitern sie. Generell wird es bei uns sicherlich immer um das Thema Wellness, Selfcare und Achtsamkeit gehen. Wenn wir unser Angebot ausdehnen, dann um Dinge, die die Nutzung unserer bestehenden Produkte erweitern oder das Erlebnis mit ihnen intensivieren.

Wo siehst Du West Fortysecond in drei Jahren?

Ich möchte als Unternehmerin mit West Fortysecond organisch wachsen und arbeite hier ganz nach dem Motto - trust-the-process - auch wenn mir das manchmal schwer fällt. Langfristig hätte ich gerne ein größeres Team aus Menschen, die meine Energie und Leidenschaft teilen, um noch stärker inhaltlich zu arbeiten und unsere Werte nach außen zu tragen.

Was sind in Deinen Augen die Vorteile von Slow Business Modellen, die wie West Fortysecond langsam und organisch wachsen anstatt schnell und künstlich?

Für mich sind Slow Business Modelle absolut die Zukunft, weil man als Gründer:in gemeinsam mit dem Unternehmen wächst. Das war einer der Gründe, warum wir uns bewusst gegen Investoren entschieden haben. Uns sind die Werte und der Aufbau des W42-Kosmos wichtiger als schnelles Wachstum und direkte Returns. Es ist ein bisschen wie an seinem Körper zu arbeiten. Man kann nicht einfach eine Tablette nehmen, um sich das Training zu sparen. Das wäre nicht nachhaltig. Wie seinen Körper sollte man auch sein Unternehmen kennenlernen und gemeinsam mit ihm wachsen.

Danke für das Interview, liebe Fabienne!

West Fortysecond / Interview / Mai 2022

 
 
Larissa Lenze

Larissa ist Texterin, Marketing Consultant und Gründerin von micropolis magazine. Privat hat sie außerdem die Philosophie des Yogas für sich entdeckt und ist zertifizierte Yogalehrerin.

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